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Nolidae - Typenverzeichnis


Über (1) Nolidae

Über (1) Nolidae (Kahneulchen)

Die Diskussion über die Positionierung und Bewertung der zur Überfamilie Noctuoidea gehörenden Nolidae (im Sinne früherer Autoren) respektive Nolinae ist noch nicht abgeschlossen. War in der älteren Literatur ihre systematische Stellung als eigenständige Familie zwischen den Noctuidae (Eulenfalter) und den Arctiidae (Bärenspinner, heute Arctiinae) angesiedelt, werden sie im neuen System (LAFONTAINE & FIBIGER 2006) wie auch die Sarrothripinae, Chloephorinae und Camptolominae als Unterfamilie Nolinae der Familie Noctuidae (Eulenfalter) interpretiert (KITCHING & RAWLINS, in KRISTENSEN, [1998]).
Als solche taxiert, sind sie im Museum Witt seit geraumer Zeit vorrangiges Forschungsobjekt.

Besonderes Charakteristikum der Nolinae ist die schlitzförmige Ausschlupföffnung am Puppenkokon, den die Raupe beim Spinnen desselben vorbereitet, was dem Kokon das Aussehen eines umgekehrten Kahnes verleiht. Daraus resultiert ihr deutscher Name Kahneulchen.

In der aktuellen Klassifikation enthält die weltweit verbreitete Unterfamilie Nolinae etwa 1400 Arten in 308 Gattungen. Die meisten Arten leben in den Tropen, in erster Linie in den Tropen der Alten Welt. Während die Taxonomie der europäischen Nolinae weitgehend geklärt ist, ist eine Revision der asiatisch und orientalisch verbreiteten Arten längst überfällig.

Bei den europäischen Arten handelt es sich mehrheitlich um kleinere unscheinbare Nachtfalter mit Flügelspannweiten von 17 bis 23 Millimetern. Sie besitzen einen mittelmäßig bis kräftig gebauten Körper, der Thorax ist stark behaart. Ihre Vorderflügel sind meist breit, die Hinterflügel sind etwa gleich breit wie die Vorderflügel und abgerundet.

Die meisten Arten sind düster gefärbt und zeigen in der Regel ein feines graues oder bräunliches Zeichnungsmuster. Nur wenige Arten wie die Buchen-Kahneule (Pseudoips prasinana) fallen durch ihre leuchtende Grünfärbung auf.
Ihre Fühler sind kurz bis mittellang. Die der Männchen können fadenförmig, gekämmt oder gefiedert sein und weisen Wimpernbüschel auf, die der Weibchen sind fadenförmig. Die Maxillarpalpen sind stark zurückgebildet, der Saugrüssel ist voll entwickelt, die Stirn dicht behaart, die Palpen sind vorgestreckt. Am Metathorax besitzen die Tiere gut entwickelte Tympanalorgane, mit denen sie Klicklaute erzeugen können. Die Beine sind zart gebaut, haben jedoch lange Tibialsporen.
Die nachtaktiven Falter weisen eine versteckte Lebensweise auf. In Ruhestellung werden die Flügel flach dachförmig angeordnet.

Die Raupen sind grau, grün-braun und rosa-weiß und meist dicht und lang hell behaart. Neben dem Nachschieber haben sie nur drei Bauchbeinpaare, ihnen fehlen Beine auf dem dritten Abdominalsegment. Sie ernähren sich von allen möglichen Laubbäumen. Europäische Arten bevorzugen Buchengewächse (Fagaceae), Weidengewächse (Salicaceae), fressen aber auch an Rosengewächsen (Rosaceae), Hülsenfrüchten (Fabaceae) und anderen, bevorzugt auf der Unterseite der Blätter.
Die erwachsene Raupe fertigt sich an der Mittelrippe einen pergamentartigen kahnförmigen Kokon an, mit dem die Puppe im Herbst zu Boden fällt. Gelegentlich werden die doppelwandigen Puppengehäuse öfters auch an Steinen und Wurzelstöcken angelegt.

Nolinae wurden in Sammlungen wegen ihres unscheinbares Aussehens lange Zeit vernachlässigt. Auch die versteckten Lebensweisen der Arten trugen dazu bei, dass sie nur spärlich und in geringer Arten- und Individuenzahl in Museen vertreten waren.
Das hat sich seit der letzten zwanzig Jahre geändert, zumindest, was den Bestand im Museum Witt betrifft.

Mit den Expeditionsausbeuten der letzten Dekade des 20. Jahrhunderts kam sehr umfangreiches Material ins Museum. Es zeigt sich dabei sehr rasch, daß dessen Bestimmung wegen des vorherrschenden geringen Kenntnisstands zunächst nicht möglich war.

Da die fotographische Inventarisierung des hauseigenen Nolidae-Typenmaterials schon relativ weit gediehen war, war es der Museumsleitung ein Anliegen, gezielt auch den Typenbestand anderer relevanter Museum, allen voran den des Britischen Museums, zu erfassen und zu listen. Diese Aufgabe wurde an die beiden Spezialisten Gyula M. LÁSZLÓ und Gábor RONKAY, Budapest, deligiert. Beide hatten auf mehreren Forschungsreisen reichhaltiges Expeditionsmaterials gesammelt und sich mit dieser Faltergruppe enger vertraut gemacht. Nach Jahren des Typenstudiums wurde den Autoren die wissenschaftliche Brisanz des vorhandenen Expeditionsmaterials bewusst und sie konnten letztlich für eine revidierende Bearbeitung der Nolinae gewonnen werden. Einer ersten vorsichtigen Schätzung zufolge stand die Beschreibung von über 200 bisher unbekannten Arten an.

Die Museumsleitung förderte zeitgleich eine Expedition in die Region des Nolinae-reichen indochinesischen Subkontinents. Besonders die Ausbeuten aus der bis dahin unbekannten Fauna Kambodschas übertrafen alle Erwartungen, wurde doch eine weitere Anzahl neuer bisher unbeschriebener Arten entdeckt.

Unbestitten bleibt die Tatsache, dass die Revision der Nolinae noch viele Jahre in Anspruch nehmen wird. Ihre Veröffentlichung ist langfristig als Buchband der Reihe „The WITT Catalogue" vorgesehen, für die derzeit eine moderne, den heutigen taxonomischen Methoden gerecht werdende Art der Darstellung diskutiert und erarbeitet wird. Die Buchreihe wird auf dieser homepage unter "Projekte" vorgestellt.
Ersten Ergebnisse wurden in zwangloser Folge in der Fachzeitschrift Entomofauna in der Publikationsreihe "Investigations on Asian Nolidae“ publiziert.


Literatur

DE FREINA, J. J. & WITT, T. J. (1984a): Taxonomische Veränderungen bei den Bombyces und Sphinges Europas und Nordafrikas. 19. Vorarbeit. (Lepidoptera: Noctuidea: Nolidae I). – Nota lepidopterologica, Karlsruhe, 7(2): 132–142.

DE FREINA, J. J. & WITT, T. J. (1984b): Taxonomische Veränderungen bei den Bombyces und Sphinges Europas und Nordafrikas. 20. Vorarbeit. Antennola gen. n.; Antennola impura (MANN, 1862) comb. n., neu für Europa (Lepidoptera, Nolidae II). – Entomofauna, Ansfelden, 5(23): 267–272:

HU, Y-Q,, HAN, H-L., LÁSZLÓ, G., M., RONKAY, G. & WANG, M. (2013): Five new species of the genus Meganola Dyar, 1898 (Lepidoptera: Nolidae: Nolinae) from China. ‒ Zootaxa, 3608 (7): 595-600.

KITCHING, I. J. & RAWLINS, J. E. (1998): The Noctuoidea [pp 355‒401]. ‒ In KRISTENSEN, N. P. (ed.). Lepidoptera, Moths and Butterflies, vol. 1. Evolution, systematics, and biogeography. ‒ Walter de Gruyter, Berlin.

LAFONTAINE, D. & FIBIGER, M (2006): Revised higher classification of the Noctuoidea (Lepidoptera). ‒ Canadian Entomologist, 138: 610-635, Ottawa:

LÁSZLÓ, G. M., RONKAY, G. & WITT, T. (2004): New Species in the Genus Sarbena Walker, 1862 (Lepidoptera, Nolidae). Investigations on Asian Nolidae I. ‒ Entomofauna, 25: 281–294.

LÁSZLÓ, G. M., RONKAY, G. & WITT, T. (2005): New and poorly known species of Nolidae (Lepidoptera, Nolidae). Investigations on Asian Nolidae. ‒ Entomofauna, 26(11): 205–224.

LÁSZLÓ, G. M., RONKAY, G. & WITT, T. (2006): Description of a New Genus and Five New Species of Nolinae from Thailand. Investigations on Asian Nolidae III.(Lepidoptera, Nolidae). ‒ Entomofauna, 27(21): 265–276.

LÁSZLÓ, G. M., RONKAY, G. & WITT, T. J. (2010): Contribution to the Nolinae (Lepidoptera, Noctuidae) fauna of North Thailand (Plates 1–11). ‒ Esperiana 15: 14–19, 78–83, 442–443, 460–461.

WITT, T. J. &.RONKAY, G: (2011): Lymantriinae and Arctiinae - Including Phylogeny and Check List of the Quadrifid Noctuoidea of Europe. ‒ Noctuidae Europaeae, 13: 1–448.

(Text DE FREINA 30.09.2018)

Korrespondierende Wissenschaftler:
G. RONKAY, Budapest
Gyula M. LÁSZLÓ, Budapest